— Original-Beitrag vom 19.09.2013 —
Seit ich denken kann – rationalerweise ca. ab 12, da sich sowas in diesem Alter manifestiert – habe ich den Gedanken, tod zu sein. Ich stelle mir vor wie das wäre, würde ich auf einmal sterben. Und das aus zwei verschiedenen Gründen.
Der erste ist eine Art Rachelust an denen, die Dinge tun oder sagen, wegen denen es mir schlecht geht. Böse gemeint oder nicht, ich will dass sie sehen was sie angerichtet haben. Ich will dass sie Schuldgefühle bekommen, dass es sie fertig macht, dass sie nachts aufwachen weil ich in ihren Albträumen erschienen bin. Und ich will dass sie es es in Zukunft anders machen, damit andere, denen es ähnlich geht wie mir, es besser haben als ich und darunter nicht leiden müssen. Oder ist das letzte nur eine Ausrede, um mir selbst gegenüber diesen Narzismus rechtzufertigen?
Der zweite Grund ist der Verlust jeder Motivation, weiter zu machen. Nicht mehr am Leben teilhaben zu wollen. Das Leid, diese Gedanken nicht mehr ertragen zu müssen. Und je stärker der Wunsch wird tot zu sein weil ich den Gedanken nicht ertragen kann tot sein zu wollen desto stärker wird der Wunsch danach tot zu sein weil ich den Gedanken nicht ertragen kann tot sein zu wollen.
Yey.
Ich war in Therapie. Nach der Trennung von meiner Ex-Freundin ging es nur noch abwärts. Zwei Monate ging ich weder in die Uni noch zur Arbeit. Dann habe ich mich fast aus einem Anflug von Langweile und etwas Tatendrang bei verschiedenen Kliniken beworben. Eine rief bald an und fragte ob ich morgen kommen könnte weil kurzfristig was frei wurde.
Ich war vorher schon einmal zu einem Vorgespräch in einer anderen Klinik gewesen. Diese war sehr schön, viel Natur, viel grün, nette Ärzte. Wegen zwei blöden Zufällen, wovon einer auf meinen Charakterfehler zurückzuführen ist oft kleine Details als wahr anzunehmen ohne sie zu hinterfragen, darauf wichtige Entscheidungen zu bauen und dann zu merken dass ich von Anfang an auf falschen Tatsachen aufgebaut habe, kam ich etwas zu spät und war schon leicht angespannt. Eine Ärztin sagte mir, ich solle die Treppe hochgehen und dort warten. Und ich ging zurück zu der Treppe an der ich vorher vorbeigekommen war, ging nach oben und wartete. Und wartete. 25 Minuten. Irgendwann ging ich zurück und lief der Dame in die Arme und sie sagte sie hätten mich alle gesucht – und dass wir jetzt nicht mehr genug Zeit für ein Vorgespräch haben. Also habe ich einen neuen Termin genommen und ging raus.
Ich wurde so unglaublich wütend auf mich wegen dieser selbstverschuldeten unglaublichen Dummheit die ich vorher nicht im geringsten erkannte und die also immer wieder passieren kann und wird dass ich mich nicht mehr als lebensfähig erachtete. Ich wollte nur noch tot sein. Und ich wollte nicht mehr weg hier, weg von diesem Ort an dem mich alle gesucht haben, zurück in mein altes Leben, in meine Wohnung wo nur Einsamkeit und Ablehnung wartet. Also legte ich mich auf eine Wiese auf dem Klinikgelände. Und wartete. Und tat gar nichts. Für 3,5 Stunden ohne Trinken in der prallen Sonne. Es war mir egal – ich wollte dass mich jemand sieht und mich anspricht. Dass die Therapeutin mich findet und sagt oh mein Gott, es tut mir Leid, Sie können sofort kommen. Ich schrieb ihr sogar eine Mail, dass ich auf der Wiese sei und sie mal Hallo sagen sollte wenn sie da ist. Ich wusste dass die Therapeutin der ich die Mail schrieb krank war. Es war mir egal, ich hoffte auf eine göttliche Fügung.
Irgendwann war mein Handy-Akku alle. Also stand ich auf und setzte mich vor ein Café auf dem Gelände und holte mir was zu trinken. Ich hoffte sie kommt vorbei und sieht mich. Sie tat es nicht.
Dann ging ich nach Hause. Die Gefühle waren fort.
Das Gespräch 1,5 Wochen später war gut. Die Therapeutin war nett, ich konnte über alles reden. Ich freute mich sehr auf eine Therapie dort.
Ca. 2 Wochen später bekam ich einen Anruf von der Schön-Klinik, dass kurzfristig was frei geworden war. Ich freute mich sehr, also sagte ich zu.
Ich packte meine Sachen und war am nächsten Tag pünktlich um 11 in der Klinik. Ich ging zur Schwesternstation um mich anzumelden.
“Wie ist ihr Name? Sie sind nicht angekündigt. Wir haben auch gerade gar keine Betten frei. Mit wem haben Sie gesprochen? Wer? Jemand diesen Namens arbeitet hier nicht.”
WAS?!? Als ich nach 15 Minuten zufällig erwähnte, dass ich gesagt bekommen hatte ich soll um 11 in der Schön-Klinik sein, erfuhr ich, dass das hier gar keine Schön-Klinik ist. Ich war in der falschen Klinik.
Ich hatte es einfach angenommen. Ich war dort zum Vorgespräch. Es war schön dort. Selbstverständlich ist das auch die Klinik die mich anruft wenn grad etwas frei wurde!
Ich rief in der richtigen Klinik an und sagte ich käme eine Stunde später, weil ich einen Fehler gemacht habe.
Und dann folgte eine der schlimmsten Selbsthass-Phasen die ich je hatte. Diese schon zweite unfassbar dumme Aktion innerhalb kürzester Zeit manifestierte die Gewissheit, nicht lebenswert zu sein, zu einer Diamantstatue. Ich ging trotzdem meinen Weg, und angesehen hat man es mir wohl auch nicht. Aber in meinem Kopf kochte es. Ich hatte das Gefühl zu explodieren. Ich wollte etwas kaputt machen, aber ich konnte nicht. Alles müsste sauber gemacht oder bezahlt werden. Also tat ich gar nichts, lächelte nur weiter und ging meines Wegs. Und kochte innerlich immer höher. Unerträglich.
Bis ich in der Klinik war. Dort wurde ich nett aufgenommen. Und irgendwann war alles wieder weg.
Die Gefühle waren fort.
Dass man mir scheinbar nicht ansieht, dass es mir schlecht geht, merkte ich erst in der Klinik. Ich sagte einem langjährigen Freund, dass ich wegen Depressionen in einer Klink sei, und der fiel aus allen Wolken. Während ich dachte, ich sei immer schon zu aufdringlich gewesen wenn ich meine negativen Phasen habe hat man es mir kein Stück angesehen. Selbst er, der mich von vielen am längsten kennt, hatte keine Ahnung. Das erklärte so vieles… Das Gefühl, dass es niemanden einen Scheiß interessiert wenn es mir schlecht geht. Dass niemand für mich da sein will, weil niemand was mit mir zu tun haben will. Weil niemand glaubt, ich sei es wert. Weil mich niemand auf dieser Welt haben will. So muss das gar nicht gewesen sein. Man hat es mir einfach nicht angesehen.
Wieso nicht? Wie kann ich innerlich das Gefühl haben als würde ich zerbersten und nach außen hin nur weiterlächeln und weitermachen?
So ist es auch jetzt, in diesem Moment. Ich merke wie es mich einholt, dass man mich nach 6 Wochen rausgeworfen hat.
In der Klinik fing ich an, mich aktiv selbst zu verletzen. Ich hatte mir ein neues Taschenmesser zugelegt, weil mein altes kaputt gegangen war, nachdem ich zwei Jahre ununterbrochen damit rumgespielt hatte. Und dieses war nicht nur schärfer von vornherein, sondern kam mit einem Messerschärfer, den ich benutzte. Und was vorher immer nur jahrelang Gesten waren, wurde möglich. Ich konnte mich selbst verletzen.
Und das tat ich. Ich wollte dass es jemand sieht. Ich wollte die Patienten und Pfleger schocken. Ich wollte meinem Therapeuten zeigen wie scheiße es mir geht.
Ich blieb klein, kam kaum unter die Haut. Es wurde rot, aber tat nicht weh.
Und es braute Druck ab.
Hervorragend.
Also tat ich es öfter.
Wenn es mir schlecht ging, richtig schlecht, setzte ich mich auf meine Lieblingsbamk wo niemand vorbeikommt und tat es. Ausgedehnt, und immer mehr. Immer noch nichts was Narben hinterlässt. Aber da es rot wurde und feintropfig Blut heraustreten ließ sah es die ersten Tage fies aus.
Bis es zuheilte nach einer Woche.
Und niemand hat mich darauf angesprochen. Nichtmal es gesehen scheinbar. Nichtmal mein Therapeut.
Die Patienten? Okey. SVV ist verbotenes Thema auf der Station. Es ist nicht verboten, weil sie es nicht verhindern können, aber man baut auf die Eigenverantwortung des Patienten, zur Station zu gehen, sich eine Verhaltensanalyse abzuholen und evtl. einen Kurzkontakt.
Das tat ich nicht.
Aber ich sagte es meinen Mitpatienten in der Triade, ein forciertes Treffen von vier Patienten jeden Abend zum Aufbau sozialer Kontate. Und die erwähnten es beim Abendbrot. Dadurch drang es zu meinem Therapeuten durch. Und alles was der sagen konnte war, dass er es nicht gesehen hatte. Und die anderen Pfleger wohl auch nicht. Und das, nachdem ich ihm schon erzählt hatte, dass ich schon mal meine Tür mit Absicht offen gelassen und so laut geweint habe wie ich konnte, nur damit meine Mutter mit mir spricht und mich tröstet, was sie nicht tat. Sie ging an meinem Zimmer vorbei, weil sie, wie sie später meinte, dachte, es wäre das beste gewesen mich alleine zu lassen. Maßgebend für das Hauptproblem meiner Erziehung: Meine Mutter dachte immer das richtige zu tun. Nur war es das nicht. Mein Therapeut wusste auch, dass ich auch mal nach einem Streit ein halb aufgeklapptes Messer auf meinem Bett hatte liegen lassen damit sie mit mir spricht. Hat sie. Und danach nie wieder darüber gesprochen. Nicht weil sie es ignorieren wollte – sie dachte, das Thema wäre damit durch und für mich alles erledigt und ok, weil auch ich nie wieder darüber sprach.
SVV aus Aufmerksamkeitsgründen war nicht mehr. Aber für den Druckabbau funktionierte es unglaublich gut. Besser als alles andere. Also tat ich es. Öfter, mehr und tiefer. Ich bin immer noch nicht bei Narben angekommen, aber das wird passieren.
Als sie mein SSRI auf 15 mg erhöhten, fing ich an, extreme Kopfschmerzen beim Sex zu bekommen. Das ist eine bekannte Nebenwirkung, für mich aber nicht tragbar. Es wurde so schlimm dass ich fast umfiel, kaum noch laufen konnte, weil es so wehtat. Also ließ ich die Medikation auf 10 mg zurücksetzen.
Und das verkraftete ich nicht.
Einige Tage später waren wir mit 20 Mitpatienten auf einer Außenaktivität in einem Café. Ich stürzte ab. Tief. Bodenlos. Ich musste irgendwas machen. Ich begann körperlich vor Anspannung zu zittern, was ich sonst nie tue. Aber diese Art von Phase lässt sich nicht durch Atosil in den Griff kriegen. Ausschließe Anspannungsphasen, in denen mein Blutdruck auf über 190/100 steigt und ich starke Aggressionen oder Wut entwickle, kann ich mit Atosil und Joggen abbauen.
Melancholisch-depressive nicht.
Also fiel ich immer weiter. Irgendwann setzte ich mich raus, um frische Luft zu schnappen. Anfangs waren noch andere Patienten da, bald nicht mehr.
Also holte ich mein Messer raus.
Zog Handschuhe an.
Verstecke den Griff im Ärmel und die Schneide in der Faust.
Setzte im Gesicht an und fing an durchzuziehen.
Wieder und wieder.
Es tat gut.
Und bald kam ein Patient raus und sprach mit mir.
Er sagte, ich blute im Gesicht.
Eine andere Patientin kam und fragte, ob sie mir mein Messer nicht abgenommen hätten. Hatten sie – und wiedergegeben damit ich es nach Hause bringe. Was ich anfangs getan hatte, aber dann brachte ich es wieder zurück. Und sie fragte, ob ich damit auch das hier jetzt getan hätte.
Ich wunderte mich. Ich blute? Ich mache das schon ewig, beblutet hatte es noch nie.
Ich bekam ein Taschentuch. Es blutete tatsächlich. Ich ging auf die Toilette. An allen Mitpatienten vorbei.
Blutend.
Ich machte mich sauber. Eine Mitpatienten kam, als ich wieder oben war, mit einem Handy auf mich zu: Die Station. Jemand hatte angerufen und gesagt was passiert war. Ich sollte mit zwei Mitpatienten schnappen und zurück zur Station. Aber erst zur Notaufnahme.
Wozu? Es ist doch nichts passiert. Verschwenden sie nicht aller Leute Zeit…
Ich bekam eine volle Seroquel, sollte mich von weiteren Patientenveranstaltungen des Tages fernhalten und schlafen gehen.
Und Montag kam der Oberarzt, durch Zufall mein Therapeut, zu mir während ich noch im Bett lag und sagte, er müsse mich entlassen. Einige Patienten kamen mit dem was passiert war nicht klar. Die Station sei außer Kontrolle.
Ich rief meinen Stiefvater an, dass er mich abholen soll.
Und dann fing ich an zu weinen.
Das passiert extrem selten. Damit ich weine, muss sehr, sehr, sehr viel passieren. Ich weine nicht aus Schmerz, nur in einer emotional kompromittierenden Sitation. Und das ist in meinem Leben seltener passiert als ich es an zwei Händen abzählen muss.
Das war die letzte emotionale Reaktion, die ich seitdem hatte.
Ich spüre, wie sich eine Phase anbahnt. Ich kann es spüren, tief in mir drin. Ich sehe die Gedanken, die Spirale des bodenlosen Falls. Aber ich lasse mich nicht darauf ein. Denn wenn ich jetzt abstürze, dann weiß ich nicht was passiert. Vor der Klinik habe ich mich nicht selbst verletzt. Die Hemmschwelle ist weg. Nach der letzten emotionalen Phase wurde ich aus der Klinik geworfen, weil die Selbstverletzung zu schlimm war. Jetzt kann ich nirgendwo mehr hin. Und sobald ich in eine Phase stürze, habe ich auch nicht die geringste Kontrolle mehr. Ich kann nicht mehr zwischen rational und irrational unterscheiden, tue einfach wonach es mich drängt, wonach mein Körper verlangt. Und ich werde auf keinen Fall einen der mittlerweile vielen Menschen anrufen die gesagt haben ich soll anrufen wenn es mir scheiße geht.
Das kann ich nicht.
Denn in dem Moment genieße ich es.
Es geht mir schlecht, ich leide unsäglich.
Und doch suhle ich mich darin.
Von allen Dingen, die mir real da raushelfen könnten, tue ich nichts.
Ich tue nur das, was innerhalb der Phase zu helfen scheint. Und andere Leute schlimm finden könnten.
Ich weiß dass das passieren wird. Ich habe keinen Anstz an den ich ansetzen könnte dieses Verhalten zu ändern. Aber jetzt habe ich weder einen realen Rückzugsort, noch Hemmschwellen. Wenn ich jetzt abstürze, könnte es das Ende sein. Das ist mittlerweile keine ferne Zukunft mehr, sondern harte Realität.
Ich könnte tot sein. Sehr bald.
Und ich gehe nicht wieder in eine andere Klinik. Was passiert ist hat bewiesen dass das nicht funktioniert. Meine Problematik lässt sich angemessen nicht auf menschlicher Ebene bewältigen. Würde man komplett auf meine Seele runtergehen wollen, müsste man mich vorher einsperren und mir alle Möglichkeiten nehmen. Ich müsste in eine geschlossene Psychiatrische. Und das werde ich nicht tun. Niemals.
Lieber sterbe ich hier als dort zu leben. Das ist mein Leben, und das bestimme ich.
Bis ich es nicht mehr aushalte hoffe ich dass ich etwas finde, was mir gut genug tut damit es mich ablenkt, und die Gefühle wieder verschwinden. Und bis dahin lebe ich einfach weiter. Ich ignoriere es, ignoriere alles, lasse mich nciht auf die Gedanken ein. Ich bekomme Kopfschmerzen, es hämmert gegen die inneren Barrikaden, aber ich halte Stand.
Noch.